04.12.2016 — 11:30 Sizilien – Metapher Europas Leonardo Sciascia, Das Ägyptische Konzil
Leonardo Sciascia (1921-1989), geboren (wie andere Genies der sizilianisch-italienischen Literatur ebenfalls in der Nähe der Schwefelgruben), in Racalmuto bei Agrigent, verspürte […] immer schon eine starke Abneigung gegen die Herde […] widersprach gerne, mied das Lächerliche und kultivierte Ironie und Selbstironie. Ein bescheidener Grundschullehrer, der dank bester weiblicher Erziehung und unstillbarer Lektüregier zur streitbaren Stimme, zur moralischen Instanz eines heute in Vergessenheit geratenen Italiens wurde.
Sein Krimi Tag der Eule (1961) war das erste literarische Werk, in dem die Mafia überhaupt Thema war, deren Existenz seitens der KIRCHE und der sizilianischer Regierung schlichtweg bestritten wurde (La mafia non esiste).
All diese Qualitäten flossen meisterhaft in den auf historischen Quellen gründenden Roman Das Ägyptische Konzil (1963), der in einem Hoffnungslichtblick im feudalen Sizilien Ende 18. Jh. spielt. Die Handelnden sind Figuren der Zeitgeschichte: der kosmopolitische Vizekönig Domenico Caracciolo, der in Sizilien die Inquisition abschaffte; der tragische Held, der feingeistige Rechtsgelehrte Paolo Di Blasi; der grandiose Betrüger Don Giuseppe Vella, ein faszinierender Akteur inmitten einer libertären, paradoxen, vergnügungssüchtigen Gesellschaft, der schon seine Zeitgenossen voller Bewunderung und Schreck in Atem hielt. Und der heutigen Menschheit noch immer den Spiegel vorhalten kann – schließlich geht es stets um die eine Frage: WER HAT DIE MACHT, im Großen wie im Kleinen.
Von Sciascia stammte auch der Begriff „Linie der Palmen“, also die Vermischung wirtschaftlicher, politischer und krimineller Interessen. Die längst hoch im Norden angekommen, Standard geworden ist. Sciascias Deutung der Affaire Moro und einen kurzen Einblick in seine Schwerthiebreden im italienischen Parlament werden das Ganze abrunden.
Deutsche Lesung: Peter Schröder (Ensemblemitglied Schauspiel Frankfurt)
Italienische Lesung, sizilianischer Gesang und Geige: Eleonora Stassi
Nachlese
Die letzte, Sizilien gewidmete Veranstaltung der Reihe Südwärts-UM-die-ganze-Welt kann in keine besseren Worte gefasst werden, als in die von Peter Kohl. Die Stimmung, der Zuspruch, das Zukunftsträchtige waren an diesem 4. Dezember 2016 prickelnd dicht und mit beiden Händen fassbar.
Nochmals allen verbindlichsten Dank!
Was im Vor- und im Nachhinein noch so alles geschah, lässt sich am besten in den Abgründen zwischen den haushohen Wellen des Logos verorten. Deshalb heißt die Parole: neuen Ufern entgegen – schwimmend oder in winzigen Bötchen rudernd.