16.10.2016 — 11:30 Nicola Lagioia: Eiskalter Süden
aus dem Italienischen von Monika Lustig
(Secession Verlag, Sept. 2016)
Drei Uhr in der Früh. Blasser Mond über apulischer Landschaft. Eine nackte junge Frau, blutüberströmt, Striemen und Blutergüsse auf den Schenkeln, schleppt sich, ein magnetisches Licht verströmend, mitten auf der Landstraße dahin. Eine feiste Kanalratte beäugt sie. Ein einsamer Lastwagenfahrer wird ihr zum Verhängnis. Oder umgekehrt. „…endlich spiegelten sich die Augen der Frau im Entsetzen eines anderen Menschenwesens.“
Vittorio Salvemini, die Verkörperung gnadenloser, entmenschter Gier nach sozialem Aufstieg, Reichtum, Macht … setzt den Ritualmord an seiner schönen Tochter als Jolly für die Durchsetzung seiner dreckigen Baugeschäfte ein. Nicht nur Menschenseelen werden ausgelöscht, auch Flora und Fauna zerstört. Betörend schöne, dramatische Naturszenen, ein Bildermeer. Jede Hilfe kommt zu spät. Der Racheplan scheint perfekt.
Der Anfang nimmt den Leser bei der Hand wie ein Thriller, auf dem Weg ins Reich der Mythen. Eines jener großartig-grausamen Gesellschaftsfreskos italienischer, Familien-Couleur.
Bis man nach wenigen Seiten atemlos innehält: der Spiegel, in den man blickte, ist ein Haufen Scherben, Ergebnis einer perfekt komponierten, sezierenden Sprache, die aneckt, zerlegt, wieder und wieder zusammenfügt. Bis die Wahrheit in Schichten daliegt, die keiner der Beteiligenden sehen will, und der Sehende sich in Sicherheit zu bringen versucht.
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Nicola Lagioia, Bari 1973, lebt in Rom, schreibt seit Jahren – sein Roman 2009 “Riportando tutti a casa” wurde mit dem Premio Viareggio ausgezeichnet – mischt sich ein, mischt auf, hat bei RAI 3 eine eigene Radiosendung, arbeitet als Verlagslektor, war von 2013-15 Mitglied der Auswahljury der Filmfestspiele von Venedig.
EISKALTER SÜDEN „La Ferocia“ wurde 2015 mit dem bedeutendsten ital. Literaturpreis, dem Premio Strega ausgezeichnet. Der Originaltitel verweist zum Einen auf grausame, animalische Gier; in der Kunst hingegen ist ein ritratto feroce ein Portrait, das um Längen exakter, authentischer ist als die abgebildete Person. Oder das Land. Eine Gesellschaft. Unsere Welt.
Der Roman versteht sich als Teil des Aufschreis einer jungen Generation italienischer Autoren gegen den in Jahrzehnten gewachsenen, scheinbar undurchdringlichen Sumpf aus Spekulation, Korruption, Zerstörung jeglichen Gemeinwesens. Zu lesen im widerständigen Sinne auch als Klaviatur der vielen schrecklichen Formen von Liebe.
Nachlese
„Eine wirklich sehr schöne Lesung, liebe Monika, und das zufällige Trefefn im Botanischen Garten war auch sehr lustig bei diesem traumhaften Wetter! Ich habe viel an meine Mutter gedacht ganz im Sinne Lagioias, dass die Menschen auch da sind, wenn sie nicht mehr da sind. Dir einen erholsamen wohlverdienten Feierabend“
Clara
„…auf deinen Veranstaltungen werde ich daran erinnert, wie schön Sprache sein kann. Es ist mir immer ein Genuss, Dir und den von Dir ausgewählten Wortkünstlern zu lauschen. Obwohl ich der italienischen Sprache nicht mächtig bin, habe ich auch hier gerne zugehört. Das war diesmal der musikalische Teil für mich. Und der Herr vom Rundfunk hat wunderbar gelesen. (…)“
RT
„Liebe Monika, mir hat Deine Veranstaltung am letzten Sonntag ausgesprochen gut gefallen. Der Autor eine Augenweide, die Gastgeberin grandios und charmant und der Sprecher gefiel mir auch besonders gut (…)“ KB
Liebe Frau Lustig, es war wie immer ein belebender Vormittag, der Gespräche in Gang setzt. Danke ! Danke auch für die beiden Flaschen Wein, die Ihre Eltern vorbeibrachten. Ihre Mutter merkte wohl, dass er mir schmeckte. Dieser Vormittag trug dazu bei, dass ich mir überlegte, italienisch zu lernen. Seit einiger Zeit versuche ich mit einem modernen Buch mein Latein aufzufrischen, was mir Freude macht. Mit Nicola Lagioia haben wir uns über Bari unterhalten (auf englisch), wo wir vor vielen Jahren waren. In Kopf und Herz hat sich viel in Bewegung gesetzt. Herzliche Grüße GS