16.11.2014 — 11:30 Friederike Meltendorf: Apfel, Huhn und Puschkin — ein russisch-ukrainisches Gipfeltreffen
Julia Belomlinskaja
(Matthes & Seitz, 2007)
übersetzt von Friederike Meltendorf
Das Arme Mädchen Julia ist Ende der 80er Jahre mit ihrer jüdischen Familie aus Russland in die USA ausgewandert. Anfangs hat sie auch alles richtig gemacht, brav geheiratet, sich im Midwest Indiana zu Tode gelangweilt, bis sie ausbrach und sich als heimwehgeplagte, sexhungrige Bohemienne, die mit Kind am Hals in New York durchschlug. Ihre Sehnsucht nach Petersburg materialisiert sich in „Apfel, Huhn und Puschkin“ (Matthes & Seitz, 2007). Die Russin Julia Belomlinskaja alias Friederike Meltendorf wird, begleitet von dem Ukrainer Viktor Pantiouchenko auf seinem Akkordeon, aus diesem scharfen Roman lesen. Abgerundet durch eine Portion Friedenseintopf (gegen „Essensmarkenspende“)
Als man 1947 verstand, dass es keinen Grund gab sie zu holen, begann man sie dafür zu holen, dass sie Juden waren. Von den 1947 Eingebuchteten gelang es vielen bis 53 zu überleben, als mit Stalins Tod dann der Tod begann, sich aus den Lagern zurückzuziehen. Trotz aller Folter, Verhöre und Viehwaggons, es gab eine Chance. Viele überlebten und kamen zurück. Sie waren es übrigens, die den Mat als Umgangssprache der literarischen Intelligenzija nach Petersburg mitbrachten. Sie, die Städter, hatten es dort beim Bäumefällen aufgeschnappt und lieben gelernt.
(S. 187)
KOHI – der Kultur-Raum in der Südstadt
Fotos: Sigmundo
Rezeptur für Frieden (die ganz einfache Variante)
man nehme, wohl dosiert, vorher gut abgetastet:
1 x russische Schriftstellerin mit einigen Identitätsproblemen – hier Julia Belomlinskaja „Apfel, Huhn und Puschkin“
1 x ihre deutsche Verkörperung, ihre zur Perfektion gesteigerte Stimme, also die deutsche Übersetzung – hier Friederike Meltendorf
1 x ukrainischen Akkordeonspieler, Sänger, Kontrabassist – hier Viktor Pantiouchenko warte dann auf einen Überraschungsgast – hier Svetlana Korneeva, gewaltiges Stimmtalent
Lese, singe, musiziere – so auch das Lied vom Armen Mädchen, das in Odessa die Herzen der Männer zu wärmen verdammt ist, Filetstückchen aus dem Roman, Walzer von Schostakowitsch, Swobodin, und andere richtige scharfe Lieder und am Ende gelingt ein VIELSTIMMIGER, gut abgeschmeckter Friedenseintopf.
Dies wöchentlich auch in umgekehrter Mixtur – ukrainischer Dichter, russischer Musiker praktiziert – dann muss es mit dem Frieden funktionieren. So man diesen Genuss überhaupt zu schätzen weiß.
Machtspiele lassen die Suppe sofort gerinnen, sie schmeckt dann nach Schießpulver und Nitroglyzerin.