26.11.2017 — 11:30 Die Liebe und die Kinder mit Steven Uhly
Wer „Glückskind“ gelesen oder dessen Verfilmung von Michael Verhoeven (2014, ARD/SWR/Arte) gesehen hat, wird sich nach dem krassen Anfang, dem inneren Aufruhr ob des Geschehens, dem Mit-Bibbern am Ende wie im Märchen, das das Leben schrieb, aufatmend zurücklehnen: Es ist geglückt! Happy End!
Aber was genau?! Die ‚eigentliche‘ Geschichte, die kommt doch erst, und da geht es mächtig zur Sache: „Marie“ heißt sie und handelt davon, in welch ein kaltes Leben die Kinder der Veronika Kelber entlassen wurden, in dem „die Liebe, die dieses kleine Mädchen für sie empfindet,“ der geliebten Mutter als rätselhaft erscheint.
Steven Uhly baut in „Marie“ keine Betroffenheitsfallen ein, dennoch erkennen wir auf Schritt und Tritt im Spiegel der noch unverwüstet handelnden Kinder – durchglüht von unhinterfragter Liebe, bedingungsloser Solidarität, eine Portion Trotz, Auflehnung, Wut ist auch dabei, viel zu selten das Spiel, die Ausgelassenheit – die vielen unliebsamen Ähnlichkeiten mit uns/den Erwachsenen in einer Gesellschaft, für die wir Alle Verantwortung tragen, auch wenn wir diese liebend gerne anderen überlassen.
Monika Lustig wird den Autor in ein Gespräch verwickeln und ihn dabei auch mit einigen Textauszügen aus einem gerade entstehenden Übersetzungswerk konfrontieren.
Aus der Moderation von Monika Lustig
Nachdem wir im September auf unserer Erkundungsreise über den manchmal fernen Planeten Liebe die Romantische Liebe nur mehr kurz gestreift haben – es hätte noch viel zu erzählen gegeben – machen wir heute Station bei der selten thematisierten Liebe der Kinder, ihrer unhinterfragten, unverbrüchlichen Liebe zur Mutter, zu den Eltern. Der rote Faden ist hierbei, inhaltlich wie formal, der eines strukturellen Ungleichgewichts. Viel häufiger wird über die vermeintlich angeborene oder eben fehlende Mutterliebe spekuliert, geschrieben und gefilmt. Gestatten Sie mir an dieser Stelle einen kleinen Exkurs: In „Das Seelenleben der Tiere“ berichtet Peter Wohlleben von einem neugeborenen Zicklein, das gleich nach der Geburt unter einem Gatterschutz durchgerutscht war und deshalb von der Mutterziege nicht mehr abgeleckt werden konnte.
Trotz Bemühens von Menschenseite, verweigerte die Mutter die Annahme des Neugeborenen, da der Geburtsschleim bereits getrocknet war. Zitat: „Es entstand keine Mutterliebe. Beim Menschen ist es oft ähnlich. Werden Säuglinge in Krankenhäusern (gleich nach der Geburt) längere Zeit von ihren Müttern getrennt, steigt die Wahrscheinlichkeit für das Ausbleiben der Mutterliebe. Allerdings ist diese nicht so hoch und so dramatisch wie bei der Ziege, denn Menschen“, so Wohlleben, „können Mutterliebe Lernen und sind nicht nur von hormonellen Prädispositionen abhängig. Andernfalls wären Adoptionen gar nicht möglich, bei denen einander fremde Mütter und Kinder erst Jahre nach der Geburt aufeinandertreffen.“ Über dieses Lernen der Liebe wäre noch viel zu diskutieren.
Doch wie es nun um die Liebe und deren ungleiche Verteilung in der Familie der Veronika Kelber bestellt ist, und wie unbeirrbar sich besonders Chiara, das so genannte Glückskind, in seiner Liebe verhält, das erzählte Steven Uhly und erläutert auch noch, was es mit dem Namen Marie auf sich hat.
Steven Uhly liest und erzählt aus seinem Roman „Marie“ (Secession Verlag für Literatur, 2016), der in „Glückskind“ (2012) seinen organischen Vorgänger hat. Und am Ende, das natürlich nicht verraten wird, leuchtet hell das Postulat: Diese Geschichte muss weitergehen! Es erwartet Sie ein dem Leben verhaftetes Literatur-Geschehnis, bei dem wie stets auch die Musik ihren Platz findet.
Bürgerzentrum Innenstadt (Ka50plus)
Adlerstraße 33 (Nähe Lidellplatz)
Karlsruhe
12,-/8,-€ (incl. un vinello)
Rückschau
Die Musik wie Steven Uhly erzählte, fällt ihm beim Schreiben immer gleich die passende Erzählmusik ein, und von da ist der Schritt zur colonna sonora also zur Filmmusik kurz.
Das Thema – Liebe zwischen Kindern und Eltern, hier: die Mutter – dieselbe wie in „Glückskind“ – löste im Publikum vielfaches autobiographisches Erzählen aus …